In Kürze: Vor welchen Herausforderungen stehen wir, wenn wir mit Menschen in Dialog treten, die rechte bzw. rechtsextremistische Ansichten vertreten? Wenn beispielsweise Opferschutz und klare Grenzen gegeben sind, kann es in bestimmten Kontexten produktiv sein den Dialog mit Rechtsextremist:innen zu suchen. Die Herausforderung besteht darin, einen Austausch zu ermöglichen, ohne demokratische Prinzipien zu gefährden und gleichzeitig die Abstufungen rechtsextremer Ansichten zu berücksichtigen.
Mit dem Erstarken der AfD nahm der Diskurs in Wissenschaft und Praxis zu, wie man sich mit deren Vertreter:innen, anderen Rechtsextremist:innen sowie autoritär Rechten auseinandersetzen kann: Soll man mit ihnen reden? Ist das überhaupt möglich, nur naiv oder gar gefährlich? Droht man vielleicht ihr Ansinnen zu unterstützen, als normaler Faktor in der Mitte der Gesellschaft zu gelten? Hierbei lohnt ein Blick auf den jeweiligen Kontext. Unterschiedliche Kontexte erfordern eigene Antworten auf die Frage, ob man mit Rechten reden sollte.
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In „Mit ‚Rechten‘ reden? Teil 1: Das Eskalationsmodell“ geht der Autor der Frage nach, mit wem ein Gespräch sinnvoll sein kann. Je weniger tief die Person in der Ideologie verankert ist, desto eher lohnt sich ein Gesprächsversuch
Unterschiedliche Kontexte beachten
Wer zum Beispiel mit entsprechenden Personen im privaten Umfeld zu tun hat, wird an Alltagsgesprächen kaum vorbeikommen. Natürlich lassen sich solche Gespräche auf das Nötigste beschränken. Zu bedenken sind dabei jedoch auch Regionen und Orte mit fortgeschrittener Normalisierung rechtsextremer Strukturen und Szenen, auch in der örtlichen Zivilgesellschaft und/oder Wirtschaft. Hier lassen sich Gespräche de facto nicht verhindern, ohne die eigene Integration ins örtliche Gemeinwesen (z.B. in einen Sportverein) in Frage zu stellen.
Etwas anders verhält es sich im Kontext der Wissenschaft: Um Konflikte zu begreifen, müssen alle Perspektiven in die Betrachtung einbezogen werden. Erstaunlich ist hier der Mangel an empirischen Analysen jenseits quantitativer Einstellungsforschungen und Textanalysen. Betrachtet man Rechtsextremismus als Teil einer Konfliktanalyse, ist es unumgänglich, alle Konfliktpartner:innen mit ihren Werten, Zielen und Interessen zu erfassen – und nicht nur die, die möglicherweise sympathischer oder forschungsaffiner erscheinen. Konflikte können ohne Kenntnis der Täter:innenseite niemals vollständig beschrieben und analysiert werden.
Umstrittener sind Auftritte, zum Beispiel als Expert:innen, unter Beteiligung rechtsextremer Personen in öffentlichen Veranstaltungen oder Medienproduktionen wie Talkshows. Zentral ist die Frage: Was soll und was kann damit bewirkt werden? Welche Chancen gibt es und wo sind Grenzen zu ziehen? Eine Analyse von Fall zu Fall dürfte unerlässlich sein.
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Kriterien für öffentliche Auftritte unter Beteiligung rechtsextremer Personen
Folgende Kriterien könnten bei der Bewertung des konkreten Formats hilfreich sein:
- Opferschutz geht vor Täterschutz: Stehen Opfer rechtsextremer Gewalt im Mittelpunkt, sollte sich eine Beteiligung von Täter:innen ausschließen. Anders kann dies aussehen, wenn es sich um glaubwürdige Aussteiger:innen handelt, wenn alle Opfer zustimmen und ein passendes Setting gefunden wird.
- Unbekannten keine Bühne bieten: Veranstaltungen, die in ihrer Wirkung freiwillig oder unfreiwillig für bisher unbekannte rechtsextreme Politiker:innen werben, sollten vermieden werden. Vor allem die Bevölkerungsgruppen, in denen Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit verbreitet ist, könnten so über das Fernsehen direkt adressiert werden.
- In Orten, wo Rechtsextremist:innen diskurs- und strukturmächtig sind, lassen sie sich nicht ignorieren. Hier gilt es, Menschenfeindlichkeit deutlich zu markieren und demokratische Positionen zu besetzen. Diese Positionierung zielt weniger darauf, rechtsextreme Führungsfiguren zu überzeugen, sondern auf deren Anhänger- und Wählerschaft.
- Ernsthafte Gespräche im Sinne einer Deradikalisierungsstrategie, die auf das direkte Gegenüber zielen, lassen sich nicht öffentlich führen. Sie können aber öffentlichen Gesprächen folgen.
- Eigene moralische Überhöhungen sind kontraproduktiv, selten glaubwürdig und im konkreten Diskurs kaum hilfreich. Sie vertiefen oft Gräben, verstärken die Radikalisierung und führen zu Sympathiebekundungen unentschlossener Dritter.
- Nichts geht ohne professionelle Settings, geübte Moderationen, vorab festgelegte Regeln und die Freiwilligkeit aller Beteiligten.
- Inhaltliche Grenzziehungen sind erlaubt, um demokratische Diskurse zu schützen. Nicht jede Position ist hörenswert in einer Demokratie, selbst wenn viele sie unterstützen. Wer sich vom normativen Grundkonsens einer demokratischen Gesellschaft entfernt, muss kein öffentliches Forum bekommen.
- Grundsätzliches Ziel der nicht-rechtsextremen Seite muss es sein, diskursbestimmend zu bleiben oder diese Position zu erobern, wenn sie verloren oder de facto noch nie erreicht wurde.
Respektvolle Kommunikation als Schlüssel
Ein wiederum anderes Setting sind Gespräche im Rahmen persönlicher Auseinandersetzungen. Diese können in der Familie, im Verein, in der Schule, Hochschule, im Betrieb, in der Nachbarschaft, im Netz oder in vielen anderen Kontexten geführt werden. Oft sind sie von nicht-rechtsextremer Seite mit Hoffnungen verbunden: Rechtsextremist:innen zu überzeugen oder zu deradikalisieren, oder sie zu Empathie mit Opfern zu bewegen und ähnliches. Nicht selten münden diese Versuche in Resignation und dem Glauben: Das bringt nichts. Eine der Hauptursachen dafür dürften überzogene Erwartungen sein. Politische Sozialisationen, Glaubenssätze und Ideologien lassen sich nicht durch ein Gespräch ‚wegzaubern‘. Dafür braucht man längeren Atem und Wissen über Prozesse der Deradikalisierung.
Deradikalisierung beginnt oft damit, dass Radikalisierte anfangen zu zweifeln.
Interessant ist der Hinweis der Aussteigerorganisation EXIT Deutschland, dass die Deradikalisierung bei fast allen Aussteiger:innen mit respektvoller Kommunikation anfing. Diese Gespräche bedürfen einiger Voraussetzungen.
Voraussetzungen für Gespräche mit dem Ziel der Deradikalisierung im Privaten sind u.a.:
- Sicherheit ist oberstes Gebot: Wer Bedenken vor einer körperlichen oder psychischen Gefährdung hat, sollte das Gespräch verweigern. Da Freiwilligkeit vorausgesetzt ist, muss nichts begründet werden.
- Wichtig ist Ehrlichkeit: Dazu gehört, eigene Standpunkte deutlich und begründet zu vertreten. Fast zwangsläufig grenzt man sich dann von rechtsextremer Ideologie ab und sollte es auch.
- Moralische Überhöhungen vermeiden: Sie enthalten Ungleichwertigkeitsvorstellungen, die im Zweifel Abwehr hervorrufen und Grenzen ziehen, die sich schwer begründen lassen.
- Die eigene Haltung zu gesellschaftlichen Fragen, den Grundsätzen des Zusammenlebens und deren normatives Fundament muss deutlich werden. Das ist wichtiger als Detailwissen.
- In den Gesprächen gilt es, die Aussagen der rechtsextremen Seite zu analysieren und zu sortieren: Was ist berechtigt oder tolerabel? Was ist menschenfeindlich? Was sind Folgen der Ideologie? Wichtig sind dabei nicht immer detaillierte Kenntnisse, sondern der ehrliche Versuch, eigene Positionen zu formulieren und Widersprüche des Gegenübers zu offenbaren.
- Viele Rechtsextremist:innen sind nicht primär wegen einer Vorliebe für die Ideologie zur Szene gekommen. Daher sind auch Gespräche über Themen wichtig, die nicht dezidiert politisch sind. Wenn die Beweggründe und Integrationsmechanismen der rechtsextremen Seite besser verstanden werden, lassen sich Angebote für ein Leben mit anderen Ideen, Vorstellungen, Kulturen und Gedanken formulieren.
Strategische Analyse der Situation
Oft enden solche Diskussionen vermeintlich wirkungslos. Niemand gibt in Diskussionen gerne zu, dass eigene Grundüberzeugungen zu überdenken sind. Das gilt auch für Rechtsextremist:innen. Zweifel entwickeln sich manchmal langsam, im Nachhinein. Ein typischer Irrtum ist, Gespräche nur als eine Suche nach Konsens zu begreifen sowie Streit und dem Äußern eigener Positionen keinen Eigenwert zuzuschreiben. Diese Ausführungen zeigen die begrenzte Geltung der Aussage, dass man mit Rechten nicht reden dürfe oder könne. Sie zeigen aber auch, dass es einer vorherigen Analyse des Settings, des Kontextes und der eigenen Ziele braucht, um sich für oder gegen ein solches Gespräch zu entscheiden. Schlussendlich wird deutlich, wo die Grenzen zu ziehen sind: bei Fragen der Sicherheit, des Opferschutzes und bei einigen rechtsextremen Diskursstrategien, insbesondere bei Versuchen, Enttabuisierungen, Provokationen und Entgrenzungen voranzutreiben.
Autor
Dierk Borstel
Prof. Dr. Dierk Borstel lehrt Praxisorientierte Politikwissenschaft an der FH Dortmund. Der Text basiert auf einem Beitrag des Autors in dem Sammelband: Gerrit Weitzel u.a. (Hg.): Hate Speech – sozialwissenschaftliche Zugänge und journalistische Perspektiven, Wiesbaden 2021.