In Kürze: Vor welchen Herausforderungen stehen wir, wenn wir mit Menschen in Dialog treten, die rechte bzw. rechtsextremistische Ansichten vertreten? Der Politikwissenschaftler Dierk Borstel verdeutlicht die Komplexität des Themas und spricht sich für eine differenzierte Vorgehensweise aus. Das Eskalationsmodell hilft rechtsextreme Ideologien in Stufen einzuteilen.
Mit dem Erstarken der AfD nahm der Diskurs in Wissenschaft und Praxis zu, wie man sich mit deren Vertreter:innen, anderen Rechtsextremist:innen sowie autoritär Rechten auseinandersetzen kann: Soll man mit ihnen reden? Ist das überhaupt möglich, nur naiv oder gar gefährlich? Droht man vielleicht ihr Ansinnen zu unterstützen, als normaler Faktor in der Mitte der Gesellschaft zu gelten?
Eine menschenrechtliche Verortung als Grundlage
Voraussetzung jeder Debatte ist eine eigene, normative Verortung. Um eine Position gegen Rechtsextremismus zu formulieren, ist es sinnvoll, zunächst den Kern rechtsextremen Denkens herauszufiltern. Der Soziologe Wilhelm Heitmeyer definiert Rechtsextremismus als Gewaltakzeptanz plus Ideologie der Ungleichwertigkeit, die er als gemeinsame Grundidee unterschiedlicher Phänomentypen von der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit in der Mitte der Gesellschaft bis hin zum Rechtsterrorismus begreift. Folgt man dieser Idee, muss eine entgegengesetzte Antwort darauf einem Prinzip der Gleichwertigkeit der Menschen folgen. Dementsprechend bietet sich für die Verortung in erster Linie kein ‚linker‘‚ ‚antifaschistischer‘ oder ‚demokratischer‘ Ansatz an, sondern ein menschenrechtlicher. Denn in diesem ist das Prinzip der Gleichwertigkeit aller Menschen grundlegend. Das schließt ergänzende politische Selbstverständnisse natürlich nicht aus.
Ähnlich wie die Demokratie hat die Idee der Menschenrechte eine Paradoxie auszuhalten.
Menschenrechte gelten für alle und damit auch für diejenigen, die sie mit Füßen treten und abschaffen wollen. Sie gelten also auch für Rechtsextremist:innen.
Im Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte steht, dass sich die Menschen „im Geist der Solidarität begegnen“ sollen. Gelingt dies auch, wenn dieser Geist nicht von allen Seiten getragen wird? Die ‚Soll‘-Bestimmung gibt hier eine Richtung vor: Es soll zumindest versucht werden. Eine vorherige Auslese von Personen, denen gar nicht erst eine Chance gegeben wird, ist nicht vorgesehen.
Ausgangspositionen
Um die Ausgangsfragen zu beantworten, sind zudem mehrere Differenzierungen nötig. Eine betrifft die Verortung des Gegenübers in den rechtsextremen Szenen. Als hilfreich erweist sich hier die sogenannte Eskalationstheorie (siehe Borstel/Heitmeyer 2012, Heitmeyer 2018). Sie definiert ein Stufenmodell mehrerer miteinander zusammenhängender Phänomenbereiche.
Das Eskalationsmodell
Alle Stufen dieses Modells eint die Ideologie der Ungleichwertigkeit. Mit jeder Stufe nimmt die Gewaltbereitschaft zu. Je weiter außen die Person sich bewegt, desto ‚demokratiekompatibler‘ ist sie. Den innersten Kern bilden Terrorgruppen wie der NSU oder Täter wie in Halle, Kassel und Hanau. Sie fühlen sich zum bewaffneten Befreiungskampf berufen und greifen zu Mitteln bis hin zum Mord als Symboltat. Vor allem der NSU fand dabei Unterstützung aus neonazistischen Netzwerken, zu denen zum Beispiel Netzwerke wie Blood and Honour oder diverse Kameradschaften zählen. Sie eint eine klare rechtsextreme Ideologie bei gleichzeitig deutlicher Systemferne. Systemfeindliche Milieus sind zum Beispiel Kleinstparteien wie ‚Die Rechte‘ – auch sie bekämpfen den liberalen Rechtsstaat, sind aber für eigene Vorteile bereit, sich an Systembedingungen zu orientieren. Typisch ist hier die Beteiligung an Wahlen, um Parlamente als Bühne und Finanzierungsmittel zu nutzen. Autoritär nationalradikale Milieus legen wiederum Wert darauf, scheinbar grundgesetzkompatibel zu sein. Oft reklamieren sie für sich, die ‚wahren Demokraten‘ zu sein. Den gesellschaftlichen Resonanzraum bilden die menschenfeindlichen Ideologien im Syndrom der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit. Deren Vertreter:innen sehen sich selbst in der Mitte der Gesellschaft verankert und sind es nach vielen sozioökonomischen Kriterien auch. Sie lehnen Gewalt in der Regel ab und sehen sich nicht als Teil eines rechtsextremen Bewegungszusammenhangs.
Mit wem lohnt sich das Gespräch?
Die Differenzierung zeigt, dass die Frage, ob man mit ‚Rechten‘ reden solle, in pauschaler Form nicht zu beantworten ist. Trotz der Gemeinsamkeiten in der Ideologie hat man es mit völlig unterschiedlichen Typen, Positionen und Ausgangslagen zu tun. Mit jedem Schritt ins Innere wird ein Gespräch schwieriger. Aufgrund der zunehmenden Gewaltbereitschaft und Gefährdungslage schwinden die Chancen auf einen Austausch. Zumindest bei den autoritär-national-radikalen Milieus und bei Vertreter:innen der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit kann noch mit einer formellen Bereitschaft gerechnet werden, sich an demokratischen Dialogformen zu orientieren.
Auf allen Ebenen stellt sich aber eine Sinnfrage: Was soll überhaupt erreicht werden? Und in welcher Rolle wird welches Ziel verfolgt? Hierbei ist vor allem der Kontext zu beachten. Dieser wird im Beitrag „Mit ‚Rechten‘ reden? Teil 2: Ein Blick auf Kontexte und Zieldefinitionen” genauer beleuchtet. Der Autor zählt hier auf, unter welchen Voraussetzungen das Gespräch mit „Rechten“ gelingen kann, welche Grenzen hierbei beachtet und welche Ziele sinnvoll verfolgt werden können.
Autor
Dierk Borstel
Prof. Dr. Dierk Borstel lehrt Praxisorientierte Politikwissenschaft an der FH Dortmund. Der Text basiert auf einem Beitrag des Autors in dem Sammelband: Gerrit Weitzel u.a. (Hg.): Hate Speech – sozialwissenschaftliche Zugänge und journalistische Perspektiven, Wiesbaden 2021.
Literatur
- Borstel, Dierk/Heitmeyer, Wilhelm (2012): Menschenfeindliche Mentalitäten, radikalisierte Milieus und Rechtsextremismus. In: Malthaner, Stefan/Waldmann, Peter (Hg.): Radikale Milieus. Das soziale Umfeld terroristischer Gruppen.
- Heitmeyer, Wilhelm (2018): Autoritäre Versuchungen.