In Kürze: Demonstrieren ist nicht nur ein Grundrecht in Deutschland, sondern auch ein wichtiger Bestandteil der Demokratie. Es bietet eine Plattform, um wichtige Anliegen zu unterstützen und Aufmerksamkeit zu erregen. Trotzdem ist es normal, dass auf einer Demonstration unterschiedliche Meinungen zusammenkommen. In solchen Situationen ist es wichtig, sich über die Ziele der Demonstration zu informieren und offene Diskussionen zu führen. Wenn man sich dennoch unwohl fühlt, ist es völlig legitim, die Demo zu verlassen.
Politische Beteiligung ist mehr, als alle paar Jahre wählen zu gehen. Darin sind sich die meisten einig. Ein recht einfacher und unkomplizierter Weg ist beispielsweise die Teilnahme an einer Demonstration. Möglichkeiten gibt es hierfür viele. Irgendwo in der Nähe findet eigentlich immer eine Protestveranstaltung oder -kundgebung statt. In Großstädten hat man oft sogar die Wahl zwischen täglich zwei Dutzend verschiedenen.
Das Recht, sich zu versammeln
Die Möglichkeit, sich als Gruppe von Menschen zu versammeln, um öffentlich die eigene Meinung zu äußern, ist – auch wenn es angesichts mancher Themen, für die demonstriert wird, nicht ganz leichtfällt – eine wichtige und ernste Angelegenheit.
So ist Demonstrieren in der Bundesrepublik Deutschland sogar ein Grundrecht. Artikel 8 des Grundgesetzes gewährt allen Menschen, die in Deutschland leben, Versammlungsfreiheit.
Dieses Recht kann nur in extremen Ausnahmefällen eingeschränkt werden.
Demonstrationen aus den unterschiedlichsten Anlässen gab es in den letzten Jahren viele:
- Großbaumaßprojekte wie der Bahnhof Stuttgart21
- konsequenter Umwelt- und Naturschutz
- Atomenergie und Atommülltransporte
- unkontrollierte Globalisierung und unregulierter Freihandel
- politische Maßnahmen der jeweils aktuellen Bundes- oder Landesregierungen
- Bedrohungen für eine vielfältige und tolerante Gesellschaft und die Demokratie im Allgemeinen
Unabhängig vom konkreten Anlass hat die Teilnahme an einer Demonstration viele positive Effekte. Sie gibt Menschen die Chance, für Themen einzustehen, die ihnen wichtig sind, und hierfür Aufmerksamkeit zu generieren. Demonstrationen machen deutlich, dass man nicht allein ist mit der eigenen Meinung. Deshalb stellt sich auch oft ein Zugehörigkeitsgefühl zu einer Gruppe Menschen ein, die ähnlich denken. Außerdem wirkt demonstrieren dem Ohnmachtsgefühl entgegen „doch nichts tun zu können“.
Vereint in Uneinigkeit
Doch nicht alle Meinungen, die Teilnehmende auf einer Demonstration kundtun, stimmen mit der eigenen überein – sei dies nun in Form von Schildern, Plakaten oder Sprechchören. Manchmal sind sie sogar schlicht unvereinbar und haben dem eigenen Empfinden nach überhaupt nichts mit dem eigentlichen Thema der Demonstration zu tun. Dies kann zu Verwirrung oder einem unguten Gefühl bis hin zum Eindruck führen, sich gerade am völlig falschen Ort aufzuhalten und eigentlich lieber nach Hause gehen zu wollen.
Beispiele für entsprechende Situationen sind:
- die unkritische Gleichsetzung von Wladimir Putin mit Adolf Hitler auf Friedensdemonstrationen gegen den Ukraine-Krieg
- nationalistische oder christlich-fundamentalistische Forderungen auf Solidaritätsdemonstrationen mit dem Staat Israel
- als Israelkritik getarnte, aber im Kern antisemitische Meinungen auf Umweltdemonstrationen
- hasserfüllte und bisweilen gewaltverherrlichende Sprechchöre auf Demonstrationen für ein friedliches und vielfältiges Miteinander
- explizite Kritik an der Ampelregierung auf Demonstrationen für die Demokratie im Allgemeinen
- rechtsextreme und völkische Meinungen bei „Spaziergängen“ im Zusammenhang mit Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie
Meinungsvielfalt akzeptieren
Die Lösung kann sicherlich nicht sein, nicht mehr demonstrieren zu gehen, weil die Gefahr besteht, dass Plakate zu sehen oder Sprechchöre zu hören sind, die nicht der eigenen Meinung entsprechen. Was aber ist dann in solchen Situationen eine angemessene Reaktion? Und wie kann man vergleichbare Umstände überhaupt erst vermeiden?
Zunächst ist es hilfreich, sich ganz genau zu informieren, was die Ziele und Anliegen einer Demonstration sind. Gerade wenn es Veranstaltungen unter sehr allgemeinen Schlagworten wie „Freiheit“ oder „Solidarität“ sind, ist es sinnvoll, einen Blick in den tatsächlichen Demonstrationsaufruf zu werfen, um herauszufinden, um wessen Freiheit es genau geht oder mit wem man sich hier solidarisch zeigen möchte. Denn der Teufel steckt meist im Detail.
Doch auch sorgfältig vorbereitet kann es bei der eigentlichen Demonstration zu Überraschungen kommen. Ein Stück weit gilt hier dann sicherlich, was generell in einer demokratischen Gesellschaft gilt: Eine grundsätzliche Meinungsvielfalt, auch im „eigenen“ politischen Lager, müssen Demokrat:innen grundsätzlich aushalten können.
Die meisten politischen und gesellschaftlichen Themen sind sehr vielschichtig und kompliziert. Darüber, was der richtige Weg ist, ein bestimmtes Ziel zu erreichen, herrscht selten Einigkeit – auch wenn alle dasselbe Ziel haben.
Wenn man sich aber mit dem einen oder anderen Weg überhaupt nicht anfreunden kann oder möchte, kann es sinnvoll sein, einfach auf die Leute zuzugehen, die entsprechende Plakate hochhalten oder Sprüche skandieren, und sie direkt darauf anzusprechen. Manchmal handelt es sich sicherlich um eine absichtlich so formulierte Botschaft oder gar eine gezielte Provokation, aber in einigen Fällen wird es den Personen sicher gar nicht bewusst sein, dass und warum ihre Botschaften falsch verstanden werden können. Eine offene und faire Diskussion hilft dann möglicherweise sogar beiden Seiten weiter.
Das Recht, nach Hause zu gehen
Wenn das alles nicht hilft und man sich trotzdem mit einem unguten Gefühl auf einer Demonstration wiederfindet, bei der man eigentlich davon ausgegangen ist, dass man unter Gleichgesinnten sein würde, dann ist es auch vollkommen in Ordnung, wenn man einfach entscheidet, nach Hause zu gehen. Dabei kann es sehr hilfreich sein, Demonstrationen als das zu sehen, was sie sind: ein- bis zweistündige Veranstaltungen, die auf keinem dezidiert ausgearbeiteten Programm aufbauen und nichts mit einer festen Mitgliedschaft in einer Organisation zu tun haben. Ein schlechtes Gewissen, wenn man sich doch gegen die Teilnahme entscheidet, ist deshalb völlig fehl am Platz.
So liegt die Verantwortung letztlich bei den Veranstaltenden, den Teilnehmenden nicht ein anderes „Programm“ zu liefern, als ihnen versprochen wurde. Wenn sie dies (mehrmals) versäumen, darf man sich als potentielle:r Teilnehmende:r auch ohne Gewissensbisse dafür entscheiden, nicht auf diese oder jene Demonstration zu gehen. Dass dies von den Veranstaltenden in der Realität nicht immer perfekt umgesetzt werden kann und gerade bei mehreren tausend Teilnehmenden nicht jedes Plakat, Schild oder Sprechchor überprüfbar ist, sollte dabei allerdings nicht vergessen werden. Auch ist die tatsächliche Gefahr der Unterwanderung einer Veranstaltung durch politisch Andersgesinnte grundsätzlich gegeben (auch wenn dieser Vorwurf zunehmend inflationär verwendet wird).
Am Ende trifft jede:r – das ist das Schöne an der Demokratie – diese Entscheidung für sich selbst. Die Teilnahme an einer Demonstration ist glücklicherweise genauso freiwillig wie das Fernbleiben.