Demokratie braucht Streit – Auch um geschlechtergerechte Sprache

Autor:In: Lisa Wesel

Datum: 18.09.2024

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In Kürze: Die Debatte um geschlechtergerechte Sprache ist ein Indiz für eine Demokratisierung der Gesellschaft. Es geht dabei nicht nur um die Änderung auf einer rein sprachlichen Ebene, sondern vor allem um die Anerkennung und Teilhabe aller Menschen in einer inklusiven Gesellschaft. Dabei hat der Streit um das Gendern die Chance, demokratische Werte zu stärken und eine gerechtere Gesellschaft zu schaffen. 

Die Verwendung von geschlechtergerechter Sprache ist ein stark umstrittenes Anliegen. Woher kommt die vehemente Ablehnung, mit der die Befürwortung oftmals konfrontiert ist? Oftmals wird eine Bedrohung der Gesellschaft oder – genau genommen – des gesellschaftlichen Zusammenhalts, ja der Demokratie an sich beschworen. Doch ist das so? Ist Konflikt bedrohlich? Streit zersetzend? 

Sprache als identitätsstiftendes Element 

Sprache ist untrennbar mit Gesellschaft und Identität verwoben. Der Versuch einer sprachlichen Veränderung geht mit einer gesellschaftlichen Veränderung einher. Hier kommt das Phänomen der psychologischen Reaktanz ins Spiel: Eine komplexe Abwehrreaktion, die oft in Bezug auf neue Normen eine Rolle spielt. Veränderung und die Ungeübtheit mit diesen neuen Normen ruf Irritationen und Abwehr hervor – Menschen sind Gewohnheitstiere und jede Veränderung braucht Zeit. Die Akzeptanz auch in Bezug auf eine Neuordnung oder Erweiterung von Normen steht im Zusammenhang mit der Frage: Wer entscheidet was?  

Im Kern geht es also bei den Konflikten um Sprache um die Aushandlung von Grundlagen des Zusammenlebens: Sprache ist untrennbar mit gesellschaftlichen Verhältnissen verknüpft, mit Identität, sie ist politisch und markiert Zugehörigkeiten genauso wie Abgrenzungen und Ausschlüsse.  

Es geht also bei Sprache auch immer um Macht: Wer gehört dazu? Wer wird gesehen? Wer darf teilhaben?  

Sprache, Normsetzung und Geschlechterordnung 

Denn was sich im generischen Maskulinum auch ausdrückt, ist die Normsetzung des Männlichen im Rahmen einer binären Geschlechtervorstellung. Also die Vorstellung, dass es zwei Geschlechter gibt, männlich und weiblich, die festgeschrieben sind und keine anderen Identitäten zulassen. Und von diesen beiden ist die männliche Version eben die Normale. Dies strukturiert unsere Vorstellung von Welt und Gesellschaft so grundlegend, es ist so normalisiert, dass wir das als Mitglieder der Gesellschaft kaum bemerken. Genau so haben wir lange das generische Maskulinum als eine geschlechtsneutrale Form verstanden, wenn sie das nun eben gerade nicht ist: Es handelt sich dabei nicht um eine ungegenderte Bezugnahme, sondern vielmehr um die Positionierung des Mannes als gesellschaftliche Normalität, als Bezugspunkt, der uns nicht mal als eigene Positionierung auffällt. Sehr konkrete Auswirkungen dieser Normsetzung sehen wir beispielsweise im medizinischen Kontext, wo als männlich verstandene Normvorstellungen von Körpern eine zentrale Rolle spielen. So werden Rückhaltesysteme in Autos, also Airbags oder Sicherheitsgurte, in Crashtests vor allem mit solchen Dummies getestet, die eben diesen körperlichen Normvorstellungen entsprechen, sodass Menschen, die von diesen abweichen, bei Unfällen sowohl häufiger als auch schwerere Verletzungen erleiden. 

Die binäre Geschlechterordnung ist also tief in der Gesellschaft verankert, sie bietet Orientierung und ist identitätsstiftend. Das Infragestellen dieser Geschlechterordnung und das Zulassen von Veränderung greift also ganz grundlegende Identitätskategorien und gesellschaftliche Machtpositionen an. Es geht um die Erweiterung des Sprecher:innenkreises, um die Sichtbarmachung und Teilhabe ausgegrenzter Gruppen, von allen, die nicht von der Kategorie „Mann“ repräsentiert werden.  

Zurück zur Vehemenz der Auseinandersetzung: Ist dieser Konflikt um geschlechtergerechte Sprache ein Problem? Ist er, wie oftmals formuliert, polarisierend und bedrohlich für den gesellschaftlichen Zusammenhalt?

Demokratie & Konflikt – ein Gegensatz? 

Eine weitverbreitete Perspektive auf Konflikt sieht diesen erstmal negativ, Streit ist unangenehm, bedrohlich und tunlichst zu vermeiden, als Kinder hat man uns oft gesagt: „Hört doch auf zu streiten!“. Das einzig Gute an Streit in dieser Betrachtungsweise ist die Versöhnung, besser noch, man vermeidet den Streit von vornherein. Nähern wir uns dem Thema allerdings mal von einer demokratietheoretisch-konfliktsoziologischen Perspektive, lässt sich gleichermaßen festhalten, dass Streit, Konflikt und deren Aushandlung ein grundlegender Bestandteil von Demokratie ist. Grundlegender Bestandteil heißt in diesem Falle nicht nur ein unvermeidbarer Teil demokratischen Zusammenlebens, sondern ein konstitutiver Aspekt, eine Notwendigkeit, der Motor der Demokratie. 

Konflikte werden hier als Beziehungsangebot verstanden, Nicole Deitelhoff formuliert das in Rückbezug auf Georg Simmel wie folgt: 

„Begeben sich Individuen bzw. Gruppen in einen Konflikt, setzen sie sich nicht nur auseinander, sondern auch in Beziehung zueinander“ (Deitelhoff 2021: 41).  

Denn im Konflikt begeben wir uns in einen geteilten (Lebens-)Raum, in dem es gilt, Normen, Regeln und gegenseitige Erwartungen aneinander auszuhandeln. In diesem Raum gibt es – offensichtlich – Konflikte, es gibt aber auch etwas anderes, nämlich gegenseitige Anerkennung. Dies nicht in einem Sinne von Begeisterung oder Lob füreinander, sondern eine andere, sehr viel grundlegendere Form der Anerkennung: für die legitime politische Existenz der Gegenseite. Man muss die Positionen der anderen weder akzeptieren noch teilen, aber man widmet sich gemeinsam der Frage: Wie wollen wir gemeinsam leben? 

In demokratischen Staaten gibt es für diese Fragen Institutionen der zivilen Konfliktaustragung, paradigmatisch dafür ist die Herzkammer der Demokratie: das Parlament. Im Deutschen Bundestag wird während der Sitzungswochen ganz konkret um Regeln des demokratischen Zusammenlebens gestritten.  

Konflikt wird so als „unblutiger Dauerstreit der demokratischen Öffentlichkeit“, wie Helmut Dubiel schon in den späten 1990er Jahren schrieb (Dubiel 1999: 142), zum Anzeiger von Veränderungsbedarf und zum Motor von Veränderung, in dem Demokratie sich immer wieder selbst erneuert. Streit und Konflikt sind also nicht nur immer etwas Schlechtes, vielmehr haben sie auch eine produktive Dimension, des Sich-Miteinander-Auseinander-Setzens, der Rückverständigung auf oder Anpassung von Normen und Werten.  

Warum ist Streit um Sprache wichtig? 

Wenn wir mit dieser Perspektive auf den Streit um geschlechtergerechte Sprache schauen, präsentiert sich dieser als Anzeiger für die Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse; hier konkret die Auflösung tradierter Geschlechtervorstellungen, allen voran die der Binarität von Geschlecht. Zentral ist dann, dass nicht nur Konflikt die Grundlage von Demokratie ist, ebenso zentrale Bestandteile, die die Demokratie grundlegend von anderen Herrschaftsformen wie autoritären Regimen unterscheidbar machen, sind eben auch Pluralismus, Gleichheit, Teilhabe und Inklusivität.  

Und genau für diese zentralen Werte steht geschlechtergerechte Sprache: Es geht um die Erweiterung des gesellschaftlichen Sprecher:innenkreises, marginalisierte Stimmen, die zuvor im gesamtgesellschaftlichen Diskurs kaum zu Wort gekommen sind, fordern die Anerkennung ihrer Existenz und ihr Recht auf Teilhabe in der demokratischen Gesellschaft. Es handelt sich also um eine Demokratisierung des Diskurses zugunsten nicht-binärer Menschen, Frauen und aller, die im generischen Maskulinum nicht repräsentiert sind. Und – entgegen kritischer Stimmen – geht es Befürworter:innen nicht um eine reine Änderung auf sprachlicher Ebene, inklusive Sprache wird hier als Teilbaustein verstanden, der zu einer gerechteren Gesellschaftsorganisation und Teilhabe auch auf materieller Ebene führt. Sprachliche Repräsentation ist zentral für gesellschaftliche Machtverhältnisse und eine sprachliche Demokratisierung ist Teil einer gesellschaftlichen Demokratisierung. Dies lässt sich gleichermaßen auf diskriminierungssensible Sprache beziehen, die die Bezugspunkte erweitert und über einen Anspruch an Geschlechtergerechtigkeit hinausgehend, die gleichberechtigte Teilhabe aller sprachlich und gesellschaftlich ausgegrenzter und benachteiligter Gruppen anvisiert.  

Und für diese inklusive Version einer demokratischen Gesellschaft, die allen gleichermaßen Teilhabe, Anerkennung und Chancen ermöglicht, lohnt es sich doch in jedem Fall zu streiten.   

Gut zu wissen?

Diskriminierungssensible Sprache nimmt neben dem Anspruch auf eine Steigerung der Geschlechtergerechtigkeit sprachlich auch andere Diskriminierungslinien – wie Rassismus, Klassismus, Ableismus oder Ageismus – in den Blick. Dabei geht es beispielsweise um Fragen von Selbst- und Fremdbezeichnungen gesellschaftlicher Gruppen und welche Worte dafür angemessen sind. Einen ersten Überblick bietet dazu z.B. das Glossar von Amnesty International, einen etwas ausführlicheren bietet wiederum das des Informations- und Dokumentationszentrums Antirassismusarbeit

Autorin

Lisa Wessel

Lisa Wessel ist Friedens- und Konfliktforscherin und arbeitet aktuell als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt der Goethe-Universität Frankfurt. Sie forscht zum Einfluss von Konflikten und deren Wirkung auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Abgesehen von ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit arbeitet sie freiberuflich als Mediatorin und beschäftigt sich dabei unter anderem mit der Frage wie Mediationen diskriminierungs- und machtsensibel gestaltet werden können. 

Literatur

  • Deitelhoff, Nicole (2021): Konflikt: Quelle oder Gefährdung gesellschaftlichen Zusammenhalts?. Blätter der Wohlfahrtspflege 168, S.47-50. 
  • Dubiel, Helmut (1999): Integration durch Konflikt?, in: Friedrichs, Jürgen/Jagodzinski, Wolfgang: Soziale Integration. Kolner Zeitschrift fur Soziologie und Sozialpsychologie 39.