In Kürze: Sich im demokratischen Prozess darauf zu verlassen, dass die eigene Meinung die Richtige ist und andere dies nur erkennen müssen, reicht meist nicht aus, um demokratisch handlungsfähig zu bleiben. Es gilt, Mehrheiten zu gewinnen. Diese fünf Schritte können dabei helfen: 1. Gleichgesinnte Verbündete finden und in deren Kreis Ideen entwickeln. 2. In bestimmten Sachfragen Partner:innen zur punktuellen Zusammenarbeit suchen, statt nur mit Gleichgesinnten zu kooperieren. 3. Den aktiven und konstruktiven Dialog auch mit politisch Andersdenkenden führen. 4. Es gibt in jeder sozialen Bewegung Menschen, die ideologisch sehr überzeugt sind, aber auch welche, die für andere politische Einstellungen erreichbar sind. Letztere gilt es zu identifizieren und anzusprechen. Hier hilft das sogenannte Zwiebelmodell der sozialen Bewegungen. 5. Unzufriedene und Zweifelnde sollten nicht von einem Dialog ausgeschlossen, sondern explizit einbezogen werden.
Fünf Ideen, um demokratisch handlungsfähig zu bleiben
Viele wichtige Entscheidungen werden in einer Demokratie durch Abstimmungen getroffen. Dafür bedarf es einer Mehrheit der Stimmen. Um das eigene Anliegen oder die eigenen Themen voranzubringen, ist es erforderlich, Mehrheiten zu gewinnen. Einfach nur daraufzusetzen, dass unsere Meinung die einzig Richtige sei, wird nicht zum Erfolg führen. Denn eine solche Auffassung haben auch andere – und dass, obwohl sie eine andere Meinung als die unsere haben. Zielführender ist es, Anderen das eigene Anliegen gut verständlich vorzustellen, so dass sie sich diesem anschließen können. Dies klingt banal, wird aber im gesellschaftlichen Diskus oft vernachlässigt.
Die folgenden fünf Ideen können helfen, eine Mehrheit für das eigene Anliegen zu gewinnen.
1. Verbündete finden
Zusammen ist man weniger allein – dies gilt auch für pädagogische oder politische Arbeit. Ein wichtiger Punkt auf dem Weg zu Mehrheiten ist, Verbündete zu finden. Wer hat ähnliche Gedanken? Mit wem kann ich mich gut austauschen? Im Kreise Gleichgesinnter können neue Ideen entwickelt werden.
2. Punktuelle Zusammenarbeit statt Gleichheit
Die neuen Partner:innen können, müssen aber nicht unbedingt im gleichen Themenfeld tätig sein. Sie können genauso organisiert sein wie man selbst – oder auch anders. Ein Verein kann mit anderen Vereinen zusammenarbeiten, aber natürlich auch mit losen Bündnissen, Parteien, Schulen, Verwaltungseinrichtungen oder Privatpersonen. Oft scheitert eine Zusammenarbeit schon zu Beginn, weil ausschließlich Verbündete gesucht werden, die genauso denken und organisiert sind, sprich genauso sind wie man selbst. Doch solche Menschen oder Organisationen gibt es nicht in unendlicher Anzahl. Es lohnt sich hier ein Blick außerhalb des Tellerrands hin zu anderen Akteur:innen.
Zielführend kann es sein, sich mit diesen darauf zu verständigen, genau ein Anliegen gemeinsam voranzubringen. Manche Differenzen in anderen Bereichen können kurz angesprochen und dann nach dem Motto agree to disagree ausgeklammert werden. Punktuelle Zusammenarbeit in bestimmten Sachfragen ist ein Weg hin zu Mehrheiten.
3. Auch mit Andersdenkenden in den Dialog gehen
Wer eine eigene politische Haltung gefunden und herausgebildet hat, ist von dieser überzeugt. Das ist auch gut so. Gleichzeitig birgt dies eine kleine Gefahr: wer nicht ähnlich denkt, wird oft nicht mehr als geeignete:r Gesprächspartner:in gesehen. „Das macht doch keinen Sinn, mit denen zu reden“ ist eine einfache Antwort. Das Spannende, aber auch Herausfordernde ist, Wege und Möglichkeiten zu suchen, mit denen ins Gespräch zu kommen, die nicht die eigenen Ansichten teilen. Dem liegt ein positives Menschenbild zugrunde, das besagt, dass viele Menschen erreichbar sind. Nur wenige sind dies nicht.
4. Die äußeren Zwiebelringe ansprechen
Hilfreich ist auch das sogenannte Zwiebelmodell der sozialen Bewegungen. Dieses besagt: Gesellschaftliche Gruppen oder Bewegungen kann man sich geordnet wie eine Zwiebel vorstellen. Es gibt einen inneren Kern. Um ihn herum liegen verschiedene Schichten.
Im Inneren versammelt sind die Menschen, die ganz viel gemeinsam haben, Werte und Ziele teilen (in der Grafik werden diese als Elite bezeichnet). Am äußeren Rand sind die, die oft als Unterstützer:innen und Sympathisant:innen bezeichnet werden. Die Identifikation dieser Menschen mit der sozialen Bewegung ist viel weniger intensiv als die des „inneren Kern“. Sie teilen zwar manche Ideen und Meinungen, aber nicht alles, und sind nicht so tief verwurzelt. Es macht einen Unterschied, ob man mit jemandem spricht, der zum inneren Kern einer politischen oder gesellschaftlichen Bewegung gehört, oder mit Menschen, die nur mit dieser sympathisieren.
Ein Beispiel: Björn Höcke gehört zum engsten Führungskreis der AfD, einer Partei, die vom Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall geführt wird. Hier erscheint ein echter Dialog mit dem Ziel zusammenzuarbeiten wenig sinnvoll. An den äußeren Schichten der „Zwiebel“ AfD gibt es aber Sympathisant:innen. Das sind beispielsweise Menschen, die diese Partei zum ersten Mal wählen oder die einer Wahlkampfaussage zustimmen. Hier lohnen sich die Mühen und Anstrengungen des Dialogs. Denn wer im Kontakt ist, kann auch im Austausch mögliche Veränderungen anstoßen.
5. Unzufriedene, Zweifelnde und (noch) nicht Überzeugte als Zielgruppe
Generell sind Menschen, die in manchen Einstellungen und Haltungen nicht vollkommen festgelegt sind, eine wichtige Zielgruppe von politischer Bildungsarbeit. Die überwiegende Anzahl der Menschen in Deutschland bejaht die Demokratie als politisches System. Gleichzeitig sind mittlerweile über die Hälfte der Bevölkerung unzufrieden damit, wie Politik praktisch umgesetzt wird. Wer auf Dauer politische Mehrheiten gewinnen will, muss im Gespräch mit Menschen bleiben, die unzufrieden, zweifelnd und (noch) nicht überzeugt sind.
Literatur
- Mehr Informationen zum Zwiebelmodell der sozialen Bewegungen: Rucht, Dieter (1994) : Modernisierung und neue soziale Bewegungen: Deutschland, Frankreich und USA im Vergleich, Theorie und Gesellschaft, No. 32, ISBN 3-593-35171-4, Campus, Frankfurt/M. ; New York, NY