In Kürze: Sprache ist ein mächtiges Instrument, das neben Informationen auch soziale Identitäten und politische Haltungen ausdrückt. Zur Demokratie gehört die Aushandlung von sprachlichen Konventionen, wobei öffentliche Institutionen eine wichtige Rolle spielen. Durch den digitalen Wandel werden die Debatten um sprachliche Vielfalt beschleunigt und unterschiedliche Akteur:innen nehmen daran teil. Diese Vielfalt ist eine Stärke, da Minderheiten in die politische Meinungsbildung mit einbezogen werden. Wenn Sprache zur populistischen Manipulation genutzt wird, steht dies im Widerspruch zu demokratischen Prinzipien.
Im Allgemeinen besteht die Vorstellung, Sprache sei ein neutrales – also ein nicht wertendes – und statisches – also ein sich nicht änderndes – System. Oft nehmen Menschen Sprache also als ein kommunikatives, vorgegebenes Werkzeug wahr, das zur Vermittlung von Sachverhalten dient.
Aus linguistischer Sicht ist dies aber nur ein Aspekt von Sprache. Wenn wir sprechen und schreiben, kommunizieren wir darüber hinaus zum Beispiel auch immer durch unsere Sprachwahl, wer wir selbst sind, aus welchem sozialen Kontext wir kommen und in welcher Art von Situation wir uns befinden. Dies geschieht etwa, wenn wir die Standardsprache in formalen Kontexten wählen oder uns durch einen Dialekt im familiären Umfeld ausdrücken. Durch die Wahl unserer sprachlichen Mittel teilen wir zugleich auch mit, wie wir uns zu einem Thema, einer Situation oder einer Person positionieren. Wenn ich von der „Rettung flüchtender Menschen auf dem Mittelmeer“ spreche, artikuliere ich neben dem Thema (Menschen in Seenot und ihre Bergung) eine andere Haltung zu eben diesem, als wenn ich den gleichen Sachverhalt als „staatlich legitimierte Schleuseraktivität“ bezeichne.
Geschlechtergerechtigkeit durch sprachlichen Wandel
Ganz ähnlich verhält sich das auch beim Thema geschlechtersensibler Sprachgebrauch: Es wird hierbei nicht nur verhandelt, was bestimmte Wortformen bedeuten wie etwa, ob das Wort der Lehrer auch nicht-männliche Personen einschließt und welche Schreibweisen besonders gut geeignet sind, um auch auf Frauen und nichtbinäre und geschlechtsdiverse Personen zu verweisen.
Man kommuniziert mit der Sprachwahl stets auch, wie man zum Thema geschlechtliche Diversität steht.
Die Nutzung von Sonderzeichen zur Sichtbarmachung von Geschlechtsdiversität (z.B. mit dem Genderstern wie in Lehrer*in oder dem Doppelpunkt wie in Lehrer:in) soll dabei zumindest eine Offenheit gegenüber nicht-traditionellen Geschlechtern markieren. Dagegen kann die konsequente Verwendung sogenannter generischer Maskulina – also grammatisch maskuline Personenbezeichnungen, um alle Menschen zu meinen – heutzutage vermitteln, dass der sprechenden Person das Thema Geschlecht egal ist oder sie explizit eine ablehnende Einstellung zu geschlechtlicher Diversität hat. Dies muss natürlich nicht der Fall sein; aber je häufiger sprachliche Ausdrücke und Formen auf eine bestimmte Art und Weise verwendet werden, desto stärker wird ihnen eine solche soziale Bedeutung und eine Positionierung im sozialen Raum eingeschrieben. Dies geschieht auch unabhängig davon, ob die Sprechenden mit den sozialen ‚Mit‘-Bedeutungen immer einverstanden sind – oder überhaupt von ihnen wissen.
Die Bedeutung von Begriffen ist also nicht vorgegeben und neutral. Besonders der Sprachwandel zeigt, dass Wortbedeutung stets eine Frage des Sprachgebrauchs und der Aushandlung zwischen Personen ist. Beispiele aus dem Bereich der Personenbezeichnungen machen dies besonders deutlich: Fräulein wurde früher von vielen Menschen als eine wertneutrale Bezeichnung für eine unverheiratete, meist junge Frau verwendet. Im Zuge der Emanzipation wurde die Unterscheidung von verheirateten und unverheirateten Frauen durch spezifische Begriffe, die keine Parallele in Bezeichnungen für Männer haben, zunehmend als sexistisch gewertet. Als Anredeform ist Fräulein heute nicht mehr gebräuchlich; wird es doch genutzt, schwingt fast immer eine (Ab-)Wertung mit.
Der Einfluss von Sprache auf den politischen Diskurs
Die Aushandlung, was Begriffe bedeuten, mit welchen sozialen Haltungen sie verknüpft sind, und was wir interaktiv tun, wenn wir sie verwenden, verläuft meist unbewusst. Entscheidungen, wie Sprache genutzt wird, können jedoch auch ganz bewusst und Gegenstand politischer Lenkung sein, um etwa vor Diskriminierung zu schützen und Gleichberechtigung voranzutreiben (wie in Richtlinien für geschlechtersensiblen Sprachgebrauch in Behörden). Andererseits können sie auch aktiv als Propaganda-Mittel eingesetzt werden, wie dies der rechtsextreme AFD-Politiker Björn Höcke in einer Rede bei einer AFD-Bürgerversammlung in Lutherstadt Eisleben 2018 selbst formuliert hat:
„Wer die Begriffe prägt, der prägt die Sprache
Wer die Sprache prägt, der prägt das Denken
Wer das Denken prägt, der prägt den politischen Diskurs.
Und wer den politischen Diskurs prägt, der beherrscht die Politik, egal ob er in der Opposition ist oder in der Regierung. Kampf um die Begriffe!“
Hierin wird deutlich, wie wichtig es ist, Sprache, Begriffe und Bedeutung als soziale Aushandlungsprozesse zu verstehen, an denen alle Mitglieder unserer Gesellschaft Anteil haben können und sollen.
Insbesondere diejenigen, denen historisch wenig Gehör geschenkt wurde und die häufig diejenigen sind, die von öffentlich diskutierten Bezeichnungen direkt betroffen sind, sollten dabei in Diskussionen zum Sprachgebrauch einbezogen werden.
Dadurch kann demokratische Willensbildung auf der Mikroebene des Wortgebrauchs sichergestellt werden und die Perspektiven von vielen Menschen in Sprache sichtbar gemacht werden.
Neue Herausforderungen für öffentliche Institutionen
Demokratische Sprachbildung heißt aber nicht, dass es keine sprachlichen Konventionen gibt. Gäbe es keine Konventionen, könnten wir uns nicht länger verständigen. In einer sprachlichen Gemeinschaft herrschen typischerweise zumindest ähnliche Vorstellungen davon, was welcher Begriff bedeutet, solange die Mitglieder der Gemeinschaft miteinander in Interaktion treten. Öffentliche Institutionen wie Schulen, Universitäten oder Verlage haben dabei traditionell eine besondere Rolle, um zu sprachlicher Vereinheitlichung beizutragen. Sie sind auch dafür verantwortlich, aus Konventionen offizielle Regeln zu machen, indem sie Rechtschreibung festlegen oder durch Wörterbuchdefinitionen Bedeutungen prägen. Sie fungieren als sprachliche Autoritäten und werden von vielen Menschen als normgebend angesehen, auch wenn ihr Selbstverständnis ein anderes sein kann – wie dies z.B. beim DUDEN-Verlag der Fall ist, der Sprachgebrauch nicht vor-, sondern beschreiben will.
Wenn eine Bedeutung und/oder Schreibweise von diesen machtvollen Institutionen aufgegriffen wird, werden sie im Anschluss zumeist als ‚richtig‘ angenommen. Wenn sich Bedeutungen oder Schreibweisen verändern, greifen Institutionen solche Veränderungen auf. Im Kontext digitaler Medien geschieht sprachlicher Wandel nun aber schneller als im Zeitalter des Buchdrucks. Es gibt sehr viel mehr Akteur:innen als zuvor, die öffentliche Debatten zur Sprache mitprägen und Diskussionen, wie etwas ‚richtig‘ zu benutzen sei, finden nicht mehr nur im Freundeskreis oder am Kaffeetisch statt, sondern auch in öffentlichen digitalen Kontexten. Dass also häufig mehr als nur eine Meinung zu Tage tritt, was ‚gute‘ Sprache ist, ist nicht verwunderlich. Autoritäten wie Bildungsinstitutionen und Verlage bemühen sich daher oft, Raum zu lassen für eine gewisse sprachliche Variation, um der Situation von Sprachgebrauch in zeitgenössischer Demokratie gerecht zu werden.
Sprachliche Vielfalt als Stärke
Zusammenfassend können wir also festhalten, dass Sprache kein fixes und neutrales System ist, das es zu bewahren gilt, sondern vielmehr das Ergebnis sozialer Interaktion. Sprachliche Konventionen und Sprachregeln sind jedoch nicht obsolet und können wichtig sein, um Gemeinschaft herzustellen und Zugang zum Sprachgebrauch der Mehrheit und der Mächtigen zu geben – es ist aber normal, dass sie sich ändern. Demokratische sprachliche Aushandlungen in einer diversen Gesellschaft müssen zugleich auch diversen Sprachgebrauch aushalten – Sprachvariation, Diskussionen zu Bedeutungen und der Gebrauch unterschiedlicher Begriffe sind keine Zeichen von ‚Sprachverfall‘, sondern weisen auf eine lebendige und offene Debattenkultur in einer Gesellschaft hin. Zugleich müssen wir dafür Sorge tragen, dass gerade Personenbezeichnungen auch von denen begrüßt werden, die durch diese bezeichnet werden – insbesondere dann, wenn es sich hierbei um Minderheiten handelt, deren Stimmen nicht immer gehört werden. Propagandistische und populistische Begriffsprägung sowie Sprachverbote, etwa von geschlechterbewusstem Sprachgebrauch, wie sie vom Verein Deutsche Sprache und auch von einigen Landesregierungen gefordert und teils bereits umgesetzt werden, laufen dabei konträr zum demokratischen Potential von Sprache und deren Bedeutung.
Autorinnen
Dr. Miriam Lind
Miriam Lind ist Leiterin der Emmy Noether-Gruppe „Posthumanistische Linguistik. Kommunikative Praktiken zwischen Menschen, Tieren und Maschinen“ an der Europa-Universität Viadrina, Frankfurt Oder.
Prof. Dr. Britta Schneider
Britta Schneider ist Professurinhaberin der Kulturwissenschaftliche Fakultät an der Europa-Universität Viadrina, Frankfurt Oder.