Was sind Mikroaggressionen?   

Wie scheinbar harmlose Aussagen verletzen können

Autor:In: Clara Westendorff

  • Politische Konfliktfelder
  • Haltung
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  • Kurz erklärt
  • Praxisbeispiele

Oft wird diese feindliche Einstellung von der ausübenden Person nicht offen gezeigt. Vielmehr wird ein bestehendes Vorurteil oder Klischee über eine Gruppe bedient. Das kann absichtlich sowie unabsichtlich oder auch in Form eines vermeintlichen Kompliments erfolgen. Die betroffene Person erkennt aber darin das dahinterliegende gesellschaftlich verankerte Vorurteil. 

Eine Mikroaggression kann eine ungefragte und damit übergriffige Äußerung sein, wie die Frage nach der Herkunft einer Person aufgrund ihres Aussehens. Sie kann auch in Form einer Herabsetzung passieren. Das ist beispielsweise der Fall, wenn Namen immer wieder falsch geschrieben werden oder die falsche Anrede verwendet wird, obwohl es bei anderen Personen kein Problem zu sein scheint. 

Auch Gesten, wie das Vermeiden von Blickkontakt oder eine abweisende Körpersprache, können diskriminierende Mikroaggressionen sein. Wenn beispielsweise eine Schwarze Person sich an einer Bahnhaltestelle setzt und eine weiße Person auf dem Nebenplatz ihre Tasche schnell zu sich nimmt, signalisiert das die Angst vor dem Beklautwerden als Folge eines rassistischen Vorurteils. 

Auch vermeintlich „Positive Klischees” sind Mikroaggressionen. Wenn eine Person beispielsweise einer Schwarzen Person zuschreibt, besonders musikalisch zu sein, ohne wirklich zu wissen, ob dem so ist, dann greift die Person auf ein „positives Klischee” zurück, das aus einem kolonialen Weltbild kommt. Auch Aussagen über vermeintliche Charaktereigenschaften und Hobbys von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung können in diese Kategorie fallen. 

Im Gegensatz zu offensichtlichen diskriminierenden Äußerungen, ist das Problem bei Mikroaggressionen, dass sie so „klein” sind, dass es für die Betroffenen sowie andere Anwesende schwierig ist, die ausübende Person damit zu konfrontieren. 

Denn: Wenn die diskriminierte Person die Situation anspricht, besteht die Gefahr, dass die ausübende Person das ganze abstreitet. Womöglich ist es ihr auch nicht bewusst, dass ihr Handeln eine Mikroaggression darstellt, weswegen sie es nicht als diskriminierend empfindet. Im schlimmsten Fall wird der betroffenen Person gesagt, empfindlich oder „zu sensibel” zu sein, wodurch sie erneut einer belastenden Situation ausgesetzt ist. 

Mikroaggressionen zu erfahren, wird von Betroffenen oft als auszehrend und anstrengend empfunden. Sie werden mit Mückenstichen verglichen, denn: Ein Einzelner tut nicht weh, aber ganz viele sind schmerzhaft und rauben Energie. In der Summe kann dann das Gefühl entstehen, nicht dazuzugehören und unerwünscht zu sein. 

In der Summe kann dann das Gefühl entstehen, nicht dazuzugehören und unerwünscht zu sein.

Den Begriff prägte der Psychiater Chester Pierce 1970 aufgrund seiner eigenen Erfahrungen an der Harvard Universität. Er war dort Dozent und wurde wiederholt von einem weißen Studenten darauf angesprochen, wie er seinen Unterricht strukturieren solle. Das Ergebnis war ein Gefühl der Bevormundung und Diskriminierung. 

Die Forscherin Mary Rowe forschte, inspiriert durch Pierce, in den 1970er Jahren am MIT weiter zu Mikroaggressionen. Ihre Schlussfolgerung war, dass diese ein Ausdruck struktureller Diskriminierungen seien und der Begriff eben auch auf Sexismus und Queerfeindlichkeit oder Diskriminierung aufgrund der Religionszugehörigkeit anwendbar sei. Sie erweiterte den Begriff zudem um „Microinequities”, was sich mit „Mikroungleichheiten” übersetzen lässt. 

2007 beschrieb der Psychologe Derald Wing Sue von der Columbia Universität den Begriff genauer. Er definierte drei Kategorien: Mikroangriffe als offensichtliche Übergriffe, Mikrobeleidigungen als eindeutige Unhöflichkeit und Mikroentwürdigungen, das heißt Aussagen die abweisend und ausschließend sind. 

Wissenschaftlich war der Begriff lange umstritten. Das liegt auch daran, dass Mikroaggressionen so schwer messbar sind, denn: Ob eine Aussage als Mikroaggression empfunden wird, darüber entscheidet die betroffene Person. Es gibt jedoch Forschungen mehreren US-amerikanischen Universitäten dazu, ob Menschen, die eine aggressive und rassistische Einstellung haben, eher dazu tendieren Mikroaggressionen zu verwenden. 

Forscher*innen kamen aber schon zu dem Schluss, dass Mikroaggressionen die körperliche und seelische Gesundheit beeinflussen können. Zum einen steigt das Stresshormon Kortisol an. Außerdem haben Studien ergeben, dass Menschen die vielen Mikroaggressionen und damit Diskriminierung ausgesetzt sind, öfter an Angststörungen, Depressionen und einem erhöhten Stresslevel leiden. 

  • Ogette, Tupoka: Exit Racism, Münster 2017