Streit um geschlechtergerechte Sprache 

Was steckt hinter der Debatte?

Autor:In: Lisa Wessel

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In Kürze: Der Streit um geschlechtergerechte Sprache ist überpräsent und politisch aufgeladen. Der eigentliche Zweck, nämlich die Verbesserung der Inklusion, tritt bei den Debatten in den Hintergrund. Dabei widerlegen wissenschaftliche Erkenntnisse Gegenargumente wie die Unlesbarkeit von Texten oder die Sorge um den Sprachverfall. Sie entlarven die statischen Vorstellungen von Sprache und zeigen, dass es tiefere Gründe für die vehemente Abwehr gibt. 

Wir befinden uns in einer Zeit, in der Sprache mehr und mehr politisch aufgeladen wird. Wir können beobachten, dass in immer mehr Bundesländern politische Vorhaben zur Einschränkung von geschlechtergerechter Sprache vorgeschlagen werden, so beispielsweise im aktuellen Koalitionsvertrag der hessischen CDU und SPD, in dem es unter dem Punkt „Bürgernahe Verwaltung“ heißt: „Gleichzeitig werden wir festschreiben, dass in staatlichen und öffentlich-rechtlichen Institutionen (wie Schulen, Universitäten, Rundfunk) auf das Gendern mit Sonderzeichen verzichtet wird und eine Orientierung am Rat der deutschen Sprache erfolgt“ (CDU Hessen/SPD Hessen 2023: 6). Dort findet sich noch folgende Ergänzung: „Auf die Verwendung der sogenannten Gendersprache werden wir daher zukünftig landesweit verzichten“ (ebd.: 55).  

CDU und SPD werden in diesem Beispiel zu dem, was Steffen Mau Polarisierungsunternehmer:innen nennt: Sie greifen ein umstrittenes gesellschaftliches Thema auf und laden es so weitgreifend politisch auf, dass es zum zentralen Bezugspunkt wird, einer Art Gretchenfrage politischer Einstellung, die mit einer hohen Emotionalität versehen, Debatten und Wahlkämpfe bestimmen kann, während andere relevante politische Problemkomplexe weniger Aufmerksamkeit erfahren.  

Auch außerhalb dieser politischen Debatten im engeren Sinne, ist der Konflikt um geschlechtergerechte Sprache omnipräsent – es wird gestritten, gerungen und debattiert, in Artikeln, in Kommentarspalten, auf Social Media Plattformen genauso wie in persönlichen Gesprächen.   

Aber über was wird beim Thema Sprache eigentlich gestritten? 

Bei Debatten um geschlechtergerechte Sprache tauchen vor allem drei Argumente auf:  

  • die Unlesbarkeit von Texten 
  • der Schutz der deutschen Sprache vor dem vermeintlichen Sprachverfall 
  • die Fokussierung auf das generische Maskulinum als inklusivem grammatischen Konzept 

Unlesbarkeit von Texten 

Was das erste Argument außen vor lässt, sind zunächst die zahlreichen wissenschaftlichen, experimentellen Studien, die belegen, dass geschlechtersensible Sprache mit Sonderzeichen nicht grundsätzlich zu einer verminderten Verständlichkeit oder Lesegeschwindigkeit führt (Pabst/Kollmayer 2023). Sie können allerdings im Hinblick auf Inklusion Schwierigkeiten mit sich bringen, da sie nicht barrierefrei sind. Sonderzeichen sind allerdings nicht die einzigen Möglichkeiten, die es gibt, um Sprache geschlechtersensibel und diversitätsorientiert zu gestalten, geschlechtsneutrale Varianten wie „Mitarbeitende“, „Person“ oder „Mitglied“ haben – wo sie möglich und sinnvoll sind – den Vorteil, dass Sie barriereärmer sind, beispielsweise von Screenreadern gut vorgelesen werden können oder für Menschen mit Lernschwierigkeiten besser zugänglich sind.  

Gut zu wissen?

Als sehr kurzer Einstieg zur Vereinbarkeit von Barrierefreiheit bzw. -armut und geschlechtergerechter Sprache bietet sich die Übersicht von myAbility an

Vermeintlicher Sprachverfall 

Hinter dem zweiten Aspekt des vermeintlichen Sprachverfalls bzw. die Bewahrung der Korrektheit der deutschen Sprache anbetrifft, steht eine statische Vorstellung von Sprache. Eine solche Annahme ist so nicht haltbar und wird bei anderen Sprachentwicklungen nicht oder zumindest nicht gleichermaßen vehement ins Feld geführt wird. Sprache ist lebendig und die einzige wirkliche Konstante ist die Veränderung.  

Genau wie modische oder andere ästhetische Vorlieben, ist sie kein objektiver Fakt, der den Menschen entgegentritt, ganz im Gegenteil, sie wird stets auch von den Sprechenden gestaltet und verändert und zeigt so gesellschaftliche Realitäten auf und gestaltet diese mit.  

Sichtbar wird das oft bei der Verwendung bestimmter Bezeichnungen von Menschen, so zum Beispiel der Begriff „Weib“, der lange Zeit eine nicht-wertende Bezeichnung für Frauen war, heutzutage aber allgemein als abwertend gilt. Gleichermaßen können wir beobachten, dass jedes Jahr neue Worte in den Duden aufgenommen werden, während andere herausfallen, oft sind das Worte, die im ersten Fall neue soziale Phänomene bezeichnen, die eine sprachliche Entsprechung benötigen (denken wir an Wörter wie Selfie oder Livestream) oder in letzterem, Worte, die gesellschaftliche Verhältnisse bezeichnen oder markieren, die an Aktualität verloren haben (z.B. der Begriff Fräulein). 

Generisches Maskulinum 

Das Beharren auf dem generischen Maskulinum – also der rein männlichen Schreibweise (wie Arzt oder Schüler) ist ein besonders interessanter Aspekt: Während oftmals betont wird, dass im Kontext des generischen Maskulinums alle Geschlechter mitgemeint sind, zeigen Studien (Keith/Hartwig/Richter 2022) auf, dass bei der Verwendung des generischen Maskulinums auch in der Vorstellungswelt der Sprechenden und Zuhörenden (oder Schreibenden und Lesenden) tendenziell an einen Mann gedacht wird.  

Mitgemeint ist also nicht mitgedacht. 

Die Vehemenz der Gegenargumente zeigt, dass es im Grunde nicht um Unlesbarkeit oder den Schutz der Sprache geht – denn diese lassen sich mit Sachargumenten entkräften – es liegen häufig andere Gründe hinter dieser Abwehr. Im nächsten Beitrag erfahren Sie, wieso die Verwendung geschlechtergerechter Sprache ein so stark umkämpftes Anliegen darstellt. 

Autorin

Lisa Wessel

Lisa Wessel ist Friedens- und Konfliktforscherin und arbeitet aktuell als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt der Goethe-Universität Frankfurt. Sie forscht zum Einfluss von Konflikten und deren Wirkung auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Abgesehen von ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit arbeitet sie freiberuflich als Mediatorin und beschäftigt sich dabei unter anderem mit der Frage wie Mediationen diskriminierungs- und machtsensibel gestaltet werden können. 

Literatur

  • CDU Hessen/SPD Hessen (2023): Eine für alle. Hessenvertrag der demokratisch-christlich-sozialen Koalition 2024-2029. Online unter: https://www.spd-hessen.de/wp-content/uploads/sites/269/2023/12/Koalitionsvertrag_2024-2029.pdf (23.08.2024).   
  • Keith, Nina/Hartwig, Kristine/Richter, Tobias (2022): Ladies First or Ladies Last: Do Masculine Generics Evoke a Reduced and Later Retrieval of Female Exemplars? Collabra: Psychology 8.    
  • Pabst, Laura Mathilde/Kollmayer, Marlene (2023): How to make a difference: the impact of gender-fair language on text comprehensibility amongst adults with and without an academic background. Frontiers in Psychology 14.